Bei den Bildungspunks läuft in diesem Monat eine Blogparade zu dem obigen Thema. Es spricht mich diesmal aus zwei Gründen besonders an:
- ich erkenne meinen eigenen Entwicklungsbedarf,
- ich kann nachvollziehen, warum sich Kolleginnen und Kollegen angesichts der geforderten Kompetenzen nicht auf den Weg machen wollen.
Besonders eindrucksvoll ist die von Manfred Schulz eingereichte Zusammenstellung „Beurteilung der Digitalen Kompetenz Lehrender” in einer Bearbeitung unter Berücksichtigung des Kompetenzrahmens der KMK v. 08.12.2016 Arthur Gottwald / Manfred Schulz (14.09.2017). Wenn ich die beschriebenen Kompetenzen in ihrer Vielzahl auf mich wirken lasse, stellt sich mir die Frage, aus welcher Motivation heraus sich Kolleginnen und Kollegen auf den Weg zur Erlangung all der Kompetenzen machen sollen?
Seit einigen Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema der Digitalität im Unterricht: Aus Spieltrieb, aus Freude an der Sache, Entdeckergeist, Erkenntnis der Bedeutung des Umgangs der Vernetzung und Information dienenden Tools, …, die gepaart sind mit kleinen Erfolgen im Unterricht durch Lernerleichterungen in vielen „schweren Fällen“ oder einfach nur Anerkennung und Spaß auf Seiten der Schüler. Außerdem erfahre ich auch manche Erleichterung in meinen eigenen Arbeitsaufläufen. Meine Motivation war und ist zunächst intrinsisch, so, wie wir sie uns bei Lernenden immer wünschen. Durch den Besuch von EduCamps und dem Geist, der in der Lehrercommunity auf Twitter herrscht, werde ich zudem mit Visionen eines besseren Miteinanders zwischen Lehrenden und Lernenden konfrontiert, die meine Motivation weiter steigern und mich trotz vieler kleiner Niederlagen bei der Sache bleiben lassen.
Kann ich bei Kolleginnen und Kollegen solcherlei intrinsische Motivation erwarten?Nein! KollegInnen haben schlicht andere Präferenzen. Um zum Aufbruch Richtung Fortbildungen in der Sache zu gelangen, benötigen wir zunächst also eine Haltung in der Lehrerschaft, die das Ziel des Kompetenzerwerbs in der Digitalen Welt überhaupt als wichtig ansieht. Nicht jeden begeistert das „Spielen“ mit den Möglichkeiten eines Tablets oder die Erkundung von Tools, die das Arbeiten kooperativer machen oder Informationssuche vereinfachen. Ein Satz, der mir immer entgegenschlägt, wenn ich von den vielen Möglichkeiten schwärme und eins ums andere vor durchaus interessierten Kolleginnen und Kollegen demonstriere und auch anleite:
„Ich habe einfach keine Zeit!“ Ein Totschlagargument, das mich in meinem Ansinnen fassungslos dastehen lässt.
Solange der Kompetenzerwerb in der Digitalen Welt von einer Lehrkraft nicht als wichtig erachtet wird – solange wird rein gar nichts passieren! Man nimmt sich nur für wichtig erachtete Dinge Zeit, seien es nur ein paar Minuten für eine Mikrofortbildung, aus der heraus sich ja weitere Inanspruchnahme von Zeit durch Beschäftigung mit der Sache ergibt.
Wie kann hier ein Umdenken forciert werden? Dazu einige Gedanken von mir:
- Bei meiner früheren Berufstätigkeit als Qualitätsbeauftragte in der Lebensmittelindustrie habe ich einen Satz verinnerlichen müssen: Qualität ist das, was die Firmenleitung will“ – also keineswegs meine Interpretation von Qualität….
- Fordere ich eine Arbeitsleistung muss ich einen Gewinn dafür in Aussicht stellen, der groß genug für die zu leistende Arbeit sein muss.
- Die zu leistende Arbeit muss machbar erscheinen.
Punkt 3 wird im Artikel von Martina Grosty im Rahmen von Mikrofortbildungen gut behandelt. Die Punkte 1 und 2 werden meiner Meinung nach viel zu wenig hinterfragt. Wenn ich nur auf Schulleitungsebene anrege, mit einem Tablet vor der Lehrerschaft zu hantieren, wird meiner Anregung das Zeitargument entgegengesetzt. Auch auf übergeordneter Ebene durfte ich diesbezüglich meine Erfahrungen machen im Sinne von „nicht so wichtig“, „keine Zeitressourcen“,….
Dazu die wahre Geschichte eines mir bekannten Intellektuellen:
„Meine Eltern kamen als Analphabeten aus der Türkei nach Deutschland. Mein Vater erkannte allerdings früh die Wichtigkeit des Lesens. Was tat er? Er nahm Zeitungen und ein Buch ums andere und „las“ vor meinen Augen Stunde um Stunde, ohne tatsächlich erfassen zu können, was dort stand. Angesichts dieses vertrauten Bildes erkannte ich die Wichtigkeit des Schrifterwerbs, wurde selbst ein Bücherwurm, lernte, studierte,….“ – und wurde ein hochgeschätztes Mitglied der Gesellschaft.
Nutzung von Handys, Tablets, dem Netz allgemein mit all seinen Möglichkeiten muss (auf allen Ebenen) vorgelebt werden – egal auf welcher Stufe des Kompetenzerwerbs man sich befindet. Anders werden sich die Errungenschaften und Chancen der Digitalen Welt keinem so schnell erschließen, der seine Zeit „besser“ mit anderen Dingen verbringt.
Bild: CCO Pixabay
Das Zeitargument ist schon sehr valide. Die Lösung ist einfach, man muss den Lehrkräften Zeit geben. Was Jahre beiseite geschoben wurde, kann jetzt nicht von heute auf morgen geändert werden. Es ist ein Prozess und der braucht Zeit.
Das wäre sehr schön, wenn man den Lehrkräften explizit Zeit für DIESEN Entwicklungsprozess geben würde.
Wenn ich kurz meine Erfahrungen mit Handygebrauch und Stadtradeln kombinieren darf:
Das normale Handy habe ich verwendet, um zur Not anrufen zu können. Weil ich schwerhörig bin, wollte ich nicht angerufen werden.
Dann hat mir meine Familie ein Smartphone geschenkt, weil ich gesagt habe: Langfristig muss ich mir wohl schon mal ein Smartphone anschaffen, um das Navigieren in unbekannten Umgebungen ohne Stadtplan leisten zu können. – Da das aber zu selten vorkommt, nütze ich es gegenwärtig als Diktiergerät für Mails an mich selbst.
Mein Chor macht beim Stadtradeln mit. Dabei sind durchaus nette Leute dabei, die einen auch dazu animieren wollen. Man radelt zwar für sich, doch tauscht man lustige Kommentare aus, die gegenseitig ermutigen sollen. So ist die Gruppe größer geworden.
Was sich beim praktischen Gebrauch nicht regelmäßig als halbwegs sinnvoll erweist, wird nicht erfolgreich gelernt. – Und andererseits (wie Vester gesagt hat) Verhalten muss als schick gelten, um nachgemacht zu werden. Dass es als vorbildlich bezeichnet wird, reicht nicht aus. Wir brauchen Lehrer“influencer“ für Digitalisierung.
Natürlich ist ein reines „Nachmachen“ und das „Schicke“ als Vorbild nicht alles. Sinnvoller Einsatz digitaler Technik in der Hand einer Person, die allein kraft ihres Amtes eine Vorbildfunktion inne hat, hilft aber, vorhandene Blockaden bei Beobachtern abzubauen. Der praktische Gebrauch folgt darauf. Wie gut angemerkt: Durch Nutzung erschließen sich auf einmal neue Möglichkeiten. Dazu fällt mir spontan ein Video von Marc Albrecht Hermanns zu Impulsen von Axel Krommer ein zum Thema „Primat der Pädagogik“.